Geschichte der Nachbarschaften - Andernacher Nachbarschaften

Andernachs ehrbare Nachbarschaften

 

Nachbarschaften gibt es in vielen Städten des Rheinlandes. Gegründet in den Wirren vergangener Jahrhunderte, waren sie in der Regel Zweck- oder Wohngemeinschaften, die füreinander einstanden.

 

Die Entstehung und die Entwicklung der Nachbarschaften in der Stadt Andernach verlief dagegen nach anderen Prämissen. Andernach lag an der Schnittstelle des Trierer und des Kurkölnischen Machtbereichs. Während die Koblenzer und die Mayener zu Trier gehörten, war Andernach die Südflanke des Kölner Kurfürstentums. Die Nachbarschaften sind Teil einer Gesellschaftsordnung, die Kriege und viele gesellschaftliche Umbrüche überstand. Selbst die Französische Revolution und die Zeit der Säkularisierung haben diese Gemeinschaften dank ihres sozialen Engagements überstanden.

 

Das alte Andernach hatte ursprünglich 13 Nachbarschaften. Sie waren gegliedert in Wohnviertel innerhalb der Stadtbefestigung. Diese Viertel waren nicht identisch mit den Verteidigungsbezirken der Stadt. Gemäß der politischen Ordnung in der Stadt waren die Nachbarschaften organisiert und ihre Ämter benannt, ein Spiegelbild der städtischen Organisation im Kleinen.

 

Aus der Versammlung '' Gelog '' (das ist die Bezeichnung auf Andernacher Platt und bedeutet Gelage) wurde der Schöffenstuhl gewählt, der wiederum den Amtmann bestimmte. Wählbar waren für diese Ämter nur Hausbesitzer. Die Wahl der Amtmänner galt immer auf Lebenszeit.

 

Die Gewalten unterhalb des Amtmannes lagen bei dem Schultheißen (Ordnungsgewalt) oder Prokurator (Stellvertreter des Amtmannes), sowie dem Protokollarius oder Sekretarius, die in den Chroniken in der Regel Gerichtsschreiber genannt wurden. Nachbarschaften mit eigenem Brunnen hatten zusätzlich einen Brunnenmeister. Das jüngste Nachbarschaftsmitglied diente der Gemeinschaft als Knecht.

 

Der Schöffenstuhl entsprach in seiner Ordnung der alten Stadtverfassung. Sie bezog sich auf die Schöffenordnung des Kölner Erzbischofs Philipp von Heinsberg für die Stadt Andernach vom 15. 09. 1171. Diese Ordnung war in den Andernacher Nachbarschaften noch bis ins 19. Jahrhundert verbindlich. Nach der alten Stadtverfassung wurde die Leitung der Nachbarschaft vom Bürgermeister und dem Rat der Stadt mit der Durchführung bestimmter kommunaler Aufgaben betraut.

 

Die Aufgabenbereiche: Die Überwachung und Reinhaltepflicht der Straßen, Ausbau und Reparaturen derselben, die Schlichtung von kleineren Streitfällen, das Eintreiben von Bußgeldern sowie die Bekämpfung von Bränden und die Hilfe bei Hochwassergefahren. Ein wichtiger Punkt war das Halten des Feuers. Umlaufend musste immer der rechte Nachbar für eine Nacht das Feuer halten. Hinzu kam noch das karitative Engagement füreinander. Die Brunnenmeister hatten für Ordnung und Sauberkeit der Brunnen zu sorgen, bei Verpachtung an Herbergen und Gasthöfen musste das fällige Brunnengeld kassiert werden. Wasser war das wichtigste Lebensmittel. Bereits 1575 veranlasste Kurfürst Salentin von Köln, dass die Stadtverwaltung eine Wasserleitung vom Hackenborn in die Stadt verlegt und dafür 500 Taler und 500 Zentner Blei erhalten soll.

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1577 wurden 2 neue Wasserleitungen auf den Markt und in die Schaarstraße verlegt. Dies geschah auch unter der Hilfe der Nachbarschaften.

 

Einmal im Jahr trafen sich die Nachbarn zur Aufnahme neuer Mitglieder und um Wahlergänzungen zum Schöffenstuhl durchzuführen. Ebenso wurden bei diesen Veranstaltungen Direktiven des Rates verkündet. Bei diesen ‘' Gelogs '' verlas der Gerichtsschreiber das Protokoll des vergangenen Jahres und erstattete Bericht über die finanziellen Verhältnisse der Nachbarschaft. Das Gelog endete immer mit einem gemütlichen Teil. Der Zusammenhalt der Nachbarschaft war in der Regel sehr eng. Die Gemeinschaft wurde gefördert durch das intensive Zusammenleben in den schmalen Ecken und Winkeln unserer Stadt. Die tiefe Frömmigkeit der Menschen tat ein Übriges.

 

Gemeinsame Gottesdienste waren hierfür ebenso Zeichen wie die geschlossene Teilnahme an Prozessionen, an Taufen, an Hochzeiten und an Begräbnissen.  Weiter muss genannt werden: Die tatkräftige Unterstützung bei Unglücksfällen, sowie Hilfe bei der Kranken-pflege. Auch zu polizeilichen Maßnahmen und Verteidigungszwecken zog der Rat die Nachbarschaften heran. So wird berichtet, dass während des Dreißigjährigen Krieges Andernacher die Verteidigungsanlagen vor Koblenz im Kampf gegen die Schweden mit ausbauten und Im Franzosenkrieg 1688/89 halfen die Andernacher beim Bau der Befestigungsanlagen vor Bonn. Die Nachbarschaften waren immer Zweckgemeinschaften, die füreinander einstanden und das Wohl der Stadt im Blick hatten.

 

Die Gründungen der Nachbarschaften haben zum Teil ihren Ursprung in den großen Pestwellen 1346-1348, in dem die Stadt 3/4 ihrer Einwohner verlor. Die Not schweißte die Menschen zusammen. Der bekannte Andernacher Chronist und Stadtarchivar Stephan Weidenbach sieht die Gründungen der Andernacher Nachbarschaften bereits im 13. Jahrhundert, etwa mit dem Entstehen der Zünfte. Unterlagen aus den Gründerzeiten sind nicht mehr vorhanden. Einer der ältesten Nachbarschaften ist neben der Schafbach- u. Steinweger- die Marktkreuz-Nachbarschaft, die in ihrem Chronikbuch von 1682 festhält, dass die Nachbarschaft   damals schon über dreihundert Jahre alt gewesen sei und früher Altmarkt-Nachbarschaft hieß. Nicht mehr existent von den ursprünglich 13 Alt-Andernacher Nachbarschaften innerhalb der Stadtmauern ist die Wollgässer-Nachbarschaft, heute St. Petrus-Nachbarschaft. Nach dem Stadtmauerdurchstich Ende des 19. Jahrhunderts wurde aus der Großen Wollgasse der untere Teil der Bahnhofstr, die in den Markt mündet. Dieser Straßenabschnitt mit den wunderschönen Jugendstilhäusern zeigt Andernachs Aufbruch in die Moderne.

 

Differenzen mit der Stadtobrigkeit gab es häufig. So ist der Schafbach im Jahre 1688 so verschmutzt, dass der Rat den Metzgern und der Nachbarschaft eine empfindliche Geldstrafe androht, falls nicht schnellstens eine Säuberung erfolge. Auch ist in den Protokollen nachzulesen, dass die Stadt den Nachbarschaften untersagte, Schweine in den Straßen frei laufen zu lassen. Bei Nichtbeachtung wurden die Schweine in den Hannen (Schützengraben der St. Sebastianus Bruderschaft u. Schützengilde zwischen Kurtmannserker und Runder Turm) getrieben und erschossen.

 

1726 lässt der Rat über die Nachbarschaften allen Andernachern mitteilen, dass beim Holzschlagen im Stadtbusch oder in fremden Hecken der Überführte an den Pranger gestellt werde. Im Volksmund hieß der Andernacher Pranger '' Keks ''. Er stand auf dem Merowinger Platz. Die dortige Genovefa Nachbarschaft nannten die Andernacher ironisch '' de Keks-Nachbarschaft. '' Gerade um diese Nachbarschaft gibt es viele hochinteressante Geschichten.

 

Die in Andernach ansässigen Klöster mit Pröbsten und Verwaltern waren ebenso Mitglieder der Nachbarschaften wie die Benediktiner vom Laacher See, die an der Ecke Steinweg/Hochstraße ihren Andernacher Stadthof unterhielten und Mitglied in der Genovefa-Nachbarschaft waren. Sie waren Edelschöffen der Nachbarschaft und Edelbürger der Stadt. Bewohner von klostereigenen Höfen und Mühlen im Umland waren dagegen rechtens keine Bürger von Andernach. Man nannte sie

'' Hintersassen '' oder auch Außenbürger. Gehörte ihr Gebiet zur Andernacher Gemarkung wurden sie der Oberen-Kirchstraßen-Nachbarschaft zugeordnet, mit allen Rechten und Pflichten.

 

Eine Ausnahme bildete das Augustinerinnen-Kloster von St. Thomas. Alle Äbtissinnen und Stifts-damen hatten das allgemeine Bürgerrecht und waren ordentliche Mitglieder der St. Quirinus-Nachbarschaft, auch Untere Kirchstr.- oder Kreinbohrer- Nachbarschaft genannt. Probleme hatte aber vor allem der Magistrat der Stadt mit den Stiftsdamen. Man nahm sich die Bürgerrechte und gab zu wenig an Pflichten zurück. Bis zur Säkularisierung fühlten sich die Klöster mit ihren Bewohnern in einer gewissen Sonderrolle, die dann 1803 abrupt zu Ende ging. Am Donnerstag, den 23. Oktober 1794, bereits besetzten französische Revolutionstruppen das von den Stiftsdamen verlassene Kloster St. Thomas und brannten es mit der Kirche nieder.

 

Insgesamt sind die Aufzeichnungen der Andernacher Nachbarschaften eine wahre Fundgrube für historisch interessierte Menschen. In ihnen gibt es viel Alltägliches, aber es sind auch viele wichtige Ereignisse aus Jahrhunderten festgehalten. Heute sind die Nachbarschaften Gemeinschaften, die Traditionen und die Geselligkeit pflegen. Einige unterhalten noch so genannte Sterbekassen, um den Angehörigen im Trauerfall finanzielle Unterstützung zu geben. Aber eines bleibt Pflicht:

Bei der Beerdigung eines Mitgliedes wird die Nachbarschaftsfahne hinter dem Sarg getragen.  Aus den ehemals 13 Altstadtnachbarschaften sind mit dem Wachstum der Stadt 17 Nachbarschaften geworden, die einen recht engen Kontakt untereinander pflegen und an deren Spitze der gewählte Oberamtmann steht. Zwischenzeitlich veranstalten eine Reihe kleinerer Nachbarschaften ihre Feste gemeinsam oder sind fusioniert. In unseren Internetbeiträgen wird auf die Besonderheiten der einzelnen Nachbarschaften eingegangen werden. Freuen Sie sich auf viele spannende Geschichten der Andernacher Nachbarschaften.

 

Recherchen:  H. Wessels

 

Quellen:

Hans Hunder, Darstellungen zur Geschichte der Stadt Andernach

Stephan Weidenbach, Die Nachbarschaften in Andernach

Josef Ruland, Nachbarschaft u. Gemeinschaft in Dorf u. Stadt

Chronik der Kreuz-Markt-Nachbarschaft


 
 
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